Dr. med. Galla-Brosch: Fußballer müssen mehr aushalten als Boxer

Dr. med. Galla-Brosch ist ein fester Bestandteil des VfB Hallbergmoos. Er unterstützt den Landesligisten nicht nur bei Sportverletzungen sondern auch Corona-Fragen.

Hallbergmoos – Mit einem erfahrenen Sportarzt hat der VfB Hallbergmoos in seinen Reihen eine professionellere Struktur als viele andere Landesligisten. Der Facharzt-Internist Dr. med. Galla-Brosch ist spezialisiert auf Diagnostik und Therapie von inneren Erkrankungen und hat auch jahrzehntelange Erfahrung mit Sportverletzungen. Er unterstützt den VfB auch hinsichtlich der Corona-Impfungen. Im Interview mit dem FT spricht er über die Pandemie, Sportverletzungen und warum Fußball gefährlicher ist als Boxen.

Herr Dr. Galla-Brosch, wie sehr hat Corona Sie im vergangenen Jahr gefordert?

Galla-Brosch: Hier muss man unterscheiden zwischen beruflich und privat. Beruflich hat es mich herausgefordert, aber nicht schwer getroffen. Ich habe eine Bestellpraxis und die Termine funktionieren gut. Im Gegensatz zu anderen Praxen hatte ich keine großen finanziellen Einbrüche oder Umsatzverluste.

Wie gehen Sie mit dem Virus um?

Hier muss man sagen, dass Virologen, Politiker und auch Ärzte weiterhin auf Sicht fahren müssen. Kein Mensch hatte irgendwelche Erfahrungswerte. Wir lernen mit der Entwicklung.

Sie sprachen den Unterschied beruflich und privat an. Was machte die Pandemie privat mit Ihnen?

Meine Lebensqualität wurde fast komplett zerstört. Ich kann nichts mehr unternehmen, ich kann nicht mehr mit meiner Frau zum Essen gehen, auch nicht ins Kino oder ins Theater. Ich kann nur noch die engsten Freunde treffen, nicht mehr feiern. Das waren bisher die Highlights und Freuden, die nach einem zwölf Stunden dauernden Arbeitstag einen Ausgleich brachten.

Haben Sie Verständnis für die Maßnahmen der Politik?

Zähneknirschend ja. Viele Regelungen waren bisher ein Flickenteppich zwischen Landkreisen und Bundesländern. Es dauerte einige Monate, bis man eine gemeinsame Linie fand und einige, wie unser Ministerpräsident Markus Söder, sind mit strengeren Maßnahmen vorgeprescht. Diese Uneinheitlichkeit nervt mich total.

Sie sind ja auch der Vereinsarzt des VfB Hallbergmoos.

Ja, die sportlichen Erlebnisse sind mir 2020 zum Teil auch weggebrochen. Nach Siegen in der Landesliga habe ich mich mit den Jungs gefreut und dann ging es mir wieder tagelang gut. Da ist nichts mehr da und darunter leide ich persönlich sehr. Mir fehlen die Erfolgserlebnisse.

Wie schwierig war es, die Amateurfußballer des VfB Hallbergmoos in Coronazeiten zu beraten?

Das ist voll an mir vorbei gegangen. Anselm Küchle und seine Mitarbeiter haben ein sehr gutes Hygienekonzept ausgearbeitet. Angesichts meiner beruflichen Belastungen habe ich mich da nicht aufgedrängt und war positiv überrascht und erfreut über das Ergebnis.

Aber Sie hätten etwas gesagt, wenn es Schwachstellen gegeben hätte?

Klar. Ich kann da lästig sein. Überhaupt hatten die Amateurfußballer Glück, dass sie spielen durften. Beim Boxverband habe ich gesehen, wie man beim ersten Lockdown noch auf Veranstaltungen im Jahr 2020 gehofft hatte. Da habe ich gesagt: Leute, ihr seid eine Kontaktsportart wie Judo, Karate oder Ringen. Ihr habt keine Chance auf Wettkämpfe. Fußball ist von den Kontakten her nicht so extrem. Die Fußballer konnten im Herbst wenigstens die Hinrunde ihrer laufenden Spielzeit zu Ende bringen.

Herrschte im Herbst Ansteckungsgefahr bei den Spielen – auf dem Platz oder auf der Tribüne?

Weder noch. Die Gefahr sehe ich bei den Besäufnissen von jungen Menschen am Gärtnerplatz in München, beim Après Ski in Ischgl oder großen Hochzeiten. Da stehen sehr viele Menschen auf engstem Raum zusammen. Und Immer wenn Alkohol im Spiel ist, dann wird es schwierig.

In Deutschland sind die Impfungen gegen den Virus gestartet. Wie schalten Sie sich da als Vereinsarzt ein?

Erst einmal habe ich ganz große Ohren und Augen. Ich werde genau aufpassen, was auch unter der Hand von Nebenwirkungen unter den Kollegen berichtet wird. Weltweit werden Millionen Menschen geimpft und angeblich soll es auch Nebenwirkungen geben. Mich stört, dass man darüber gar nichts erfährt. Die Frage wird sein, mit welchem Prozentsatz und in welcher Form Nebenwirkungen auftreten. Für eine fundierte Meinungsäußerung im Verein nehme ich mir noch zwei Monate Zeit. Ich selbst werde mich aber bei der ersten möglichen Gelegenheit impfen lassen. Dann kann ich aus eigener Erfahrung auch sagen, wie es bei mir war. Da sehe ich mich in der Verantwortung, voranschreiten zu müssen.

Sie klingen aber gar nicht euphorisch, dass es die Impfung jetzt schon gibt.

Das stimmt. Dafür habe zu viele unbeantwortete Fragen. Zum Beispiel: Werden Antikörper wirklich bei jedem aufgebaut? Wie lange hält die Impfung? Sechs Wochen? Sechs Monate? Sechs Jahre oder lebenslang? Das weiß aktuell kein Mensch. Man weiß auch nicht, ob eine geimpfte Person immun ist oder Corona ohne Erkrankungssymptome bekommen kann. Ist die Person dann ansteckend? Wer nach der Impfung ohne Maske überall hin- geht, könnte ein symptomloser Überträger des Virus sein. Die Fragen werden derzeit nicht öffentlich diskutiert, um die Bevölkerung nicht unnötig zu verunsichern.

Als verantwortungsvoller Mediziner verfolgen Sie die aktuellen Infektionszahlen sicher mit Sorge. Was erwarten Sie, wie es weitergeht mit dem Amateurfußball in der Landesliga?

Wir brauchen die Möglichkeit, in die Breite zu impfen. Der Impfstoff von Biontech beispielsweise muss mit 70 Grad minus gekühlt werden. So einen Kühlschrank hat keine Arztpraxis. Aber es werden noch andere Impfstoffe kommen, die nur minus 20 Grad brauchen. Wenn dann die Möglichkeit besteht und vom Verein Interesse bekundet wird, würde ich die Impfdosen besorgen. Da würde ich dem VfB sicher helfen.

Glauben Sie, dass es erst mit Impfungen wieder einen regulären Landesliga-Spielbetrieb gibt?

Wenn ein deutlicher Rückgang der Erkrankungen mit einer Inzidenz unter 50 auf 100.000 Einwohner vorhanden ist, dazu die Impfungen in der Breite laufen, kann es gut gehen. Im ganz optimistischen Fall ist das im März oder April der Fall. Für Punktspiele mit Zuschauern müssten die Zahlen ganz deutlich sinken.

Heißt das, der Neustart nach der Winterpause wird holprig?

Der wird äußerst holprig, und es wird eine Fahrt auf Sicht. Da kann es jederzeit passieren, dass wir von der Politik wieder abgewürgt werden. Jeder Entscheidungsträger im Sport steht bald wieder vor sehr schwierigen Fragen.

Wann haben wir wieder Normalität?

Ich würde sagen, im Sommer bis Spätsommer dieses Jahres. Aber es gibt noch viele andere Corona-Viren und die Wissenschaftler wissen, dass dies nicht die letzte Pandemie war.

Kommen wir zu Ihrer Arbeit als Sportarzt. Sie begannen ja bei den Boxern des TSV 1860 München.

Genau. In den 80er-Jahren wurde ich dann vom Bayerischen Amateur-Box-Verband angesprochen. Seit Jahrzehnten bin ich nun beim den Amateurboxern Verbandsarzt, aber das mit angezogener Handbremse. Ich habe ja auch noch meine eigene Praxis mit zwölf- bis 14-Stunden- Tagen. Bei Cuts und Gehirnerschütterungen habe ich reichlich Erfahrung. Meine ersten Fußball-Kontakte hatte ich dann beim TSV Milbertshofen.

Wie kamen Sie nach Hallbergmoos?

Die Mutter eines damaligen Torhüters bei Hallbergmoos fragte mich, als der VfB noch in der Kreisliga spielte. Das war genau zu der Anfangszeit von Trainer Toni Plattner. Das ist etwa zehn Jahre her.

Was macht jetzt mehr Spaß: der Nasenbeinbruch des Boxers oder die Muskelverhärtung des Fußballers?

Eindeutig der Fußball. Grundsätzlich macht keine Verletzung Spaß. Die Jungs in Hallbergmoos haben sich in den letzten zehn Jahren so verbessert, dass es eine Freude ist zuzuschauen. Und es ist zeitlich auch angenehmer, weil ich beim Fußball drei bis fünf Stunden unterwegs bin und mit dem Rest des Tages noch etwas machen kann. Bei einem Boxturnier sitze ich von acht Uhr morgens bis Mitternacht in der Halle. Am Ende bist du fertig mit Gott der Welt. Fußball bringt mir da mehr.

Sind Sie deshalb vom Boxen zum Fußball gewechselt?

Vom Fußball habe ich einfach mehr zurückbekommen. Beim Boxen mache ich in einem halben Jahr ein Turnier und beim Fußball bin ich nahezu jedes Wochenende unterwegs. 80 Prozent meiner sportlichen Lebensqualität ist Fußball.

Wahrscheinlich lacht der Boxer über den Fußballer, weil der immer so wehleidig am Boden liegt?

Nein. Der Fußballer muss deutlich mehr aushalten als der Boxer.

Wieso?

Beim Boxen wird ja nicht gefoult. Bei einem unerlaubten Schlag unterbricht der Ringrichter und spricht eine Verwarnung aus. Passiert das dreimal, kassiert man eine Verwarnung mit Punktabzug. Beim Fußball wird ein Spieler pro Spiel und abhängig von der Spielposition vielleicht 20 Mal abgegrätscht oder gefoult. Ob der Schiedsrichter das alles pfeift, ist dann wieder eine andere Frage. Der Boxer sieht die Faust des Gegners und wenn er eine gute Deckung hat und entsprechende Meidbewegungen ausführt, kann er sich gut schützen.

Der Fußballer sieht das Foul nicht. Ist das der wesentliche Unterschied?

Der Fußballer ist wie ein Segler auf hoher See und damit in Gottes Hand. Der Fußballer muss immer Körperspannung haben und sich bei einem Foul abrollen, um sich nicht zu verletzen. Der Boxer muss nach vorne schauen und kann sich zum Beispiel mit den Beinen gar nicht verletzen. Amateurboxer im Jugendbereich haben ja auch noch einen Kopfschutz und somit eine deutlich geringere Verletzungsgefahr als ein Fußballer.

Bemerken Sie als Mediziner über das letzte Jahrzehnt gesehen Änderungen bei Fußballverletzungen?

Die Verletzungen an sich haben sich nicht groß verändert. Es ist aber auch klar, dass die Gefahr wegen der schlechteren Ausbildung der Spieler in den unteren Spielklassen größer ist. Dort versucht man eher über den Kampf und körperbetontes Spiel das Ziel zu erreichen. Der filigrane Fußballer ist darauf nicht angewiesen. Der spielt dann auch den Ball ab, bevor es zum Foul kommen kann. In höheren Ligen ist die Gesamtmenge der Fouls geringer, aber böse Einzelfouls kann es überall geben.

Sind Sie als Mannschaftsarzt erst bei Fouls im Spiel gefragt oder schon im Vorfeld bei der Trainingsplanung?

Beim Training kann ich mich aus Zeitgründen nicht einbringen. Im Spiel sehe ich sofort, wie ernst die Lage ist. Wenn ein Spieler schlaff wie ein Sack zu Boden geht, hat er das Bewusstsein verloren und ist hoch gefährdet. Da renne ich auch mal auf den Platz, ohne auf das Zeichen des Schiedsrichters zu warten. Da muss man binnen Sekunden helfen. Ansonsten bin ich natürlich so kooperativ, dass ich erst mit Erlaubnis des Schiedsrichters das Spielfeld betrete.

Sie wissen also nach einem Foul, ob Sie schnell oder nicht ganz so schnell auf den Platz müssen?

Ja, klar. Wenn es die 90. Minute ist und wir führen, dann laufe ich auch einmal etwas gemächlicher, aber nicht übertrieben langsam (lacht).

Sie sind nicht nur Mediziner, sondern auch Fan. Wie groß ist dann Ihre Hoffnung, im Herbst Mediziner eines Bayernliga-Aufsteigers zu sein?

Niemand würde sich das mehr wünschen. Es müsste aber alles zusammenpassen, die Spielqualität, wenig Verletzungspech, mannschaftliche Geschlossenheit und wir müssten auch die Drecksspiele mit 1:0 gewinnen, wie es Ex-Trainer Toni Plattner immer so schön sagte.


Quelle: Freisinger Tagblatt 16.1.2021 / Autor: Nico Bauer


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